Sir Michael Caine gab praktisch eine Schauspiel Masterclass, als er 2010 als Gast bei Mark Lawson in “Front Row” auf BBC Radio 4 war. Viel Spaß mit diesem Video, welches glücklicherweise mit einer Kamera im Radiostudio mitgeschnitten wurde und/oder der nachstehenden Transkription.
Mark Lawson: In dem Buch [welches Michael Caine in der Sendung vorstellt] stehen einige sehr hilfreiche Tipps für junge Schauspieler, die ich sehr faszinierend finde. Einer lautet: “Blicke in einer Nahaufnahme deinem Gegenüber nur in ein Auge.”
Sir Michael Caine: Genau, und wechsel das Auge nicht. Der Grund dafür, sich ein Auge auszusuchen, ist wie zum Beispiel mit dieser Kamera hier, dich offensichtlich mich filmt. Wenn ich sie mit diesem Auge ansehe [das Auge, was näher an der Kamera ist] und ihnen in das Auge blicke [dem Gegenüber in das von der Kamera weiter entfernte], haben sie mich verloren [das Gesicht nicht richtig im Bild]. Wenn ich ihnen aber mit dem anderen Auge in ihr anderes Auge sehe, sind meine Augen im Bild. Wenn sie stark spielen wollen, sollten sie nicht blinzeln. Wenn sie schwach spielen, blinzeln sie. Ich meine, nicht absichtlich […] aber wenn sie wirklich stark spielen wollen, sehen sie jemanden einfach so an [macht es vor]…so sieht man die Augen mit der Kamera. Und suchen sie sich ein Auge aus. Und wechseln sie es nie. Nur Schauspieler machen das. Menschen machen das nicht im wirklichen Leben.
Mark Lawson: Hugh Grant zum Beispiel…
Sir Michael Caine: Er ist sehr komisch, er blinzelt ständig, weil er immer nervös ist. Er bekommt die Frau nie….das ist ein sehr schlauer Schauspieler. Er läßt dich wissen, daß er nicht sehr stark ist, sondern sehr angespannt und aufgebracht. Wenn man eine ernste Rolle in einem Film spielt, so wie ich es oft mache, möchte man nicht nervös und aufgebracht rüberkommen.
Mark Lawson: Und trete niemals nackt auf.
Sir Michael Caine: Nein. Beim Schauspiel im Film geht es um Kontrolle. Die Leute wissen nicht, daß sie gelenkt werden, aber sie blicken dahin, wo ich es möchte und sie hören mir zu. In dem Augenblick, wo man völlig nackt vor ihnen steht, blicken sie sofort nicht dahin, wo sie hinsehen sollen, und sie fangen sofort an, sich zu unterhalten. Sie machen alle möglichen Vergleiche, egal ob du Mann oder Frau bist…und du hast die Konzenration verloren. Darauf gebracht hat mich Robert Helpmann, der frühere Leiter des English Ballet, zu Zeiten von “Oh! Calcutta!”, was ein Nacktmusical war. Das war eine große Sache damals – ein Nacktmusical. Und sie fragten Robert Helpmann, ob er sich vorstellen könne, Nacktballett zu machen, was er verneinte. Als er gefragt wurde, warum nicht, sagte er: “Weil nicht Alles zusammen mit der Musik aufhört.” Das halte ich für einen sehr guten Grund, denn was er meint, ist daß man die Konzentration verliert. Konzentration bedeutet, daß die Musik aufhört – und Bang! – fertig. Wenn man splitterfasernackt ist, blickt man Dinge, die sich weiter bewegen. Also sollte man Nacktheit bleiben lassen.
Mark Lawson: Schließlich – ich habe da nie vorher drüber nachgedacht, aber jetzt wo sie es sagen, ergibt es Sinn für mich: wenn Leute Betrunkene spielen, machen sie often den gleichen Fehler, den sie früher gemacht haben und spielen betrunken, während….
Sir Michael Caine: Und sie lallen. Ich sollte als junger Schauspieler einen Betrunkenen spielen, und als ich loslegte, unterbrach mit der Produzent und fragte: “Was machst du da?” Ich antwortete, daß ich in dieser Szene betrunken sei, woraufhin er entgegnete: “Ich weiß, daß du betrunken sein sollst, aber du bist kein Betrunkener. Du bist ein Schauspieler, der versucht betrunken zu spielen.” Ich bedeutete ihm, daß ich ihn nicht verstehen würde. “Du bist ein Schauspieler, der versucht zu torkeln und zu lallen. Ein Betrunkener versucht aber, gerade zu gehen und deutlich zu sprechen. Mach es noch einmal.” Das ist eine tolle Grundlage für das Filmschauspiel, wo man sich mit der Realität auseinandersetzt. Meiner Meinung nach macht es einen guten Schauspieler aus, daß das Publikum nicht sagt: “Oh, ist Michael Caine nicht ein toller Schauspieler?” – dann habe ich alles falsch gemacht. Sie sollten sagen: “Ich frage mich, was jetzt mit Harry Brown passiert!” Wissen sie – das ist der feine Unterschied.
Mark Lawson: Zum Stichwort betrunken spielen, gibt es noch ein ähnliches Beispiel, worüber ich noch nie nachgedacht hatte: Jemand der weint, ist eigentlich jemand, der versucht nicht zu lachen.
Sir Michael Caine: Nein. Es geht im Speziellen um Männer. Männer würden alles tun ausser weinen […] Man muß gegen die Tränen ankämpfen. Wenn du gegen die Tränen ankämpfst, wird das Publikum für dich weinen.
Mark Lawson: Vielen Dank.